Geschichte der Perlen

Während die ersten Anzeichen menschlicher Kultur – einfache Steinwerkzeuge – in Ost-Afrika vor 1,5 Millionen Jahren hergestellt wurden, verbindet man in der Geschichte der Perlen die ältesten bekannten Perlen mit dem klassischen Neandertaler. Man entdeckte sie in La Quina (Frankreich) und schätzt, dass sie etwa um 38000 v. Chr. entstanden sind. Es ist eben die Zeit, in der ein fortgeschrittener Menschentyp, der Homo sapiens, den Neandertaler zu verdrängen begann und neue, komplexere Kulturen entwickelte.
1 Die Perlen von La Quina, die etwa 5000 Jahre vor den ältesten figurativen, auf Mammutzähne geritzten Darstellungen entstanden, bestehen aus ausgekehlten Tierzähnen und Knochen; man trug sie als Anhänger. Sie sind jedoch einzigartig für diese Epoche, und ihre Zahl ist gering. Erst in der frühen Phase des Jungpaläolithikums in West-Europa (Châtelperron-Periode, etwa 31000 v. Chr.) tauchen Perlen auf, die als Kreationen einer neuen Kulturstufe zu werten sind. Man hat Perlen zusammen mit versteinerten Knochen und anderen Überresten kulturellen Lebens bei Ausgrabungen auf der ganzen Welt gefunden (zum Beispiel in Indien, China, Korea, Australien und afrikanische Perlen), doch jeweils nur in wenigen, einfachen Exemplaren. Nur in den jungpaläolithischen Fundstätten in Europa und Russland sowie in der Höhle von Zhou-kou-dian in China fand man eine größere Anzahl.
Geschichte der Perlen
Die europäischen und russischen Fundstätten konzentrieren sich auf fünf Hauptregienen: West-Europa (Süd-Frankreich und Nord-Spanien), Mittelmeerraum (Italien und OstSpanien), Zentral-Europa (Tschechoslowakei, Deutschland und Österreich) und Rußland (die obere Ukraine und Zentral-Sibirien). Die Funde an diesen‘ Orten scheinen zu beweisen, daß die Entstehung von Perlen Teil einer wichtigen kulturellen Evolution vor etwa 33000 Jahren war.

Grundsätzliche Probleme der Lebenserhaltung und Versorgung prägten die menschliche Existenz während der Eiszeit. In einer relativ kalten, starken Temperturschwankungen ausgesetzten Phase entwickelte sich in Europa und Asien der Homo sapiens. Zunehmende Trockenheit des Klimas zwang nun die Tiere, in Gegenden zu ziehen, wo Wasser und Vegetation ausreichend vorhanden waren. Je größer und konzentrierter die Herden wurden, desto schwieriger wurde die Nahrungsbeschaffung für den Menschen. Die Jagd war damals ein gefährliches Geschäft, das sicherer und ertragreicher zu werden versprach, indem Jäger sich gleichfalls zu Horden zusammenschlossen. Solche Jagdgemeinschaften versammelten sich an geschützten Stellen in der Nähe der Herden sowie an Engpässen, die die Tiere bei ihren Wanderungen passierten. Man entwickelte effektivere Jagdwaffen, wie Pfeil und Bogen, sowie ausgeklügelte Treibjagden als neue Errungenschaften.“

Den ersten größeren Perlenfund, der um 31 000 v. Chr. datiert wird, machte man in der Grotte du Renne, einer Höhle bei Arcy-sur-Cure in Frankreich. Es handelt sich um Fuchs-, Hyänen-, Wolf-, Rentier-, Bären- und Mammutzähne, die offensichtlich in der Absicht eingekerbt und ausgekehlt wurden, um sie an einer Art Halsband aufzuhängen. Zu dem Fund gehörte auch ein versteinerter Seelilienstengel mit einem Loch in der Mitte. Perlen in Form versteinerter Muscheln, darunter Arten aus dem Mittelmeer, hat man in einer Reihe von Ausgrabungsschichten in den Kalksteinhöhlen von Abri Pataud im Südwesten Frankreichs gefunden; sie datieren von 30000 bis 19500 v. Chr. Einige haben natürliche Löcher, die meisten aber sind künstlich eingekerbt oder gelocht worden, um eine Aufhängung zu ermöglichen.

Etwa zeitgleich mit den ersten europäischen eiszeitlichen Höhlenmalereien und Schnitzereien entwickelte sich während des Jungpaläolithikums (Aurignacien, Gravettien, 30000-19500 v. Chr.) eine kunstvollere handwerkliche Technik für Perlen. Die Perforation löst nun die Einkerbungen ab: Knochen und Elfenbein wurden zu eindeutigen Perlenformen geschliffen und mit Ritzmustern geschmückt. In den Ausgrabungsstätten in Dolni Vestonice und Pavlov in der Tschechoslowakei kamen beachtliche Funde zutage: Diese Perlen waren Teil des materiellen Besitzes einer kulturell fortgeschrittenen, mammutjagenden Gesellschaft, die sowohl eine imponierende Menge von Knochenwerkzeugen als auch Halsbänder aus Tierzähnen, Muscheln und Kieselsteinen herstellte. Einige dieser Perlen haben die Form weiblicher Brüste oder anderer Körperteile und hingen wahrscheinlich mit Fruchtbarkeitsritualen zusammen (Abbildung 2-3). Aus Dolni Vestonice stammen auch die ältesten uns bekannten Keramikobjekte – Tierfigurinen aus gebranntem Ton -, die in die Zeit um 23500 v. Chr. datiert werden?

Die frühen Perlen spiegeln die differenzierte Mentalität der Menschen des Jungpaläolithikums: Sie waren bereits in der Lage, abstrakte Formen und Symbole zu entwickeln, mit deren Hilfe sie sich in ihrer oft gefährlichen Umwelt zu behaupten suchten. Perlen waren selbstbewusster Ausdruck der Tapferkeit bei der Jagd. Sie symbolisierten auch das Bedürfnis des Menschen nach Schutz und Beistand übersinnlicher Mächte in schwierigen, aber lebensnotwendigen Unternehmungen. Sie waren Talismane, fabriziert aus Nebenprodukten der Jagd wie Knochen, Zähne, Muscheln. Der Besitz bzw. das Tragen eines tierischen Körperteils bedeutete zugleich eine gewisse Macht über dessen Geist. Das Auftauchen von Schmuck lässt sich aber auch mit dem wachsenden Bedürfnis nach persönlicher Identität in Verbindung bringen, das entstand, als die Bevölkerung vor 30 000 bis 20000 Jahren immer mehr zunahm und sich immer größere Gemeinschaften bildeten.

Das späte Jungpaläolithikum (17000-10000 v. Chr.) ist eine Periode künstlerischen Fortschritts sowohl in der Gestaltung der einzelnen Perlen als auch in der Art, sie miteinander zu kombinieren.“ Die Kultur des Magdalénien in Frankreich, die einige der berühmtesten Höhlenmalereien hervorgebracht hat, ist auch für ihre wunderbar gearbeiteten Perlen bekannt. So fand man zum Beispiel in einem Grab in Barma Grande (nahe Grimaldi in Süd-Frankreich) ein Halsband aus drei parallelen Ketten von symmetrisch angeordneten Fischgratwirbeln, Nassus-Muscheln und Hundezähnen? Wer weiß was noch kommt, die Geschichte der Perlen ist ja noch lange nicht vorbei.

Quelle: Alle Perlen dieser Welt, Lois Sherr Dubin Dumont Verlag

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