Perlen – Europa: Von der Spätantike zur Renaissance

In der Blütezeit des Römischen Reiches arbeiteten die Perlenhersteller in Europa, im westlichen Asien und im Mittelmeerraum mit mehr oder weniger einheitlichen stilistischen und technischen Methoden. Nach Auflösung des Imperiums wurden die großen Zentren der Perlenherstellung dann durch viele kleinere, lokale Werkstätten ersetzt, die ihre Materialien und Ideen aus den verschiedensten Quellen empfingen, wie zum Beispiel Ägypten, Persien und den von Kelten besiedelten Regionen Europas. Als die traditionellen Klammern zerbrachen, bildeten sich lokale Stile mit jeweils besonderen Merkmalen heraus.

Während der gesamten Geschichte des Römischen Reiches waren seine Grenzen den Angriffen marodierender Banden ausgesetzt, die es auf Beute aus den wohlhabenden Provinzen abgesehen hatten. Außerdem existierte ein beständiger Druck von Gruppen aus dem zentralen und westlichen Asien, die ihrerseits von anderen Stämmen im Osten aus ihren Ländern vertrieben wurden und nach und nach in die fruchtbaren Regionen Europas drängten. Diese asiatischen Stämme trafen hier im 4. Jahrhundert n. Chr. auf eine zersplitterte Gesellschaft mit internen politischen und sozialen Problemen, die weder stark genug war, sich zur Wehr zu setzten, noch flexibel genug, die Neuankömmlinge in das römische System zu integrieren. Während des nächsten Jahrhunderts brach die imperiale Macht des Westens unter der Flutwelle dieser Völkerwanderung zusammen. Das kulturelle Erbe des Römischen Reiches konzentrierte sich nach 476 ganz in der östlichen Kapitale Konstantinopel.

Die europäischen Perlen aus dem Jahrtausend zwischen Spätantike und Renaissance reflektieren die politischen und sozialen Umwälzungen dieses Zeitraums. Die Elite – der byzantinische Adel, europäische Feudalherren und kirchliche Würdenträger – schmückte sich mit Perlen aus Gold und Edelsteinen oder Halbedelsteinen, während das einfache Volk überall Perlen aus Ton, Bernstein, Stein und Glas trug. Die besser situierte römische Stadtbevölkerung empfand Glasperlen als »barbarisch«, insbesondere, nachdem in frühchristlicher Zeit durch neuerfundene Massenproduktionstechniken Glasperlen in großen Mengen hergestellt wurden, die sich fast jedermann leisten konnte. Als sich die künstlerischen Aktivitäten von Rom nach Konstantinopel verlagerten, stellten die römischen Schmuckmacher weiterhin hauptsächlich Perlen aus Edelmetallen und Edelsteinen her, indem sie sich stilistisch an die traditionellen römischen Formen hielten.

In vielen zentral- und westeuropäischen Regionen, die früher einmal römische Provinzzentren der Glasherstellung gewesen waren, blieb diese Tradition ungebrochen. In der Zeit der großen Völkerwanderung trugen die »Barbaren- farbenfrohe und auffallende Perlen aus Gold, Granat oder Bernstein und Glas. Als sich die Stämme niederließen und in manchen Fällen auch Reiche gründeten, kam es besonders in Gebieten mit älterer Tradition in der Glasherstellung zur Herausbildung charakteristischer Regionalstile.

 

60 Halsbänder mit Stein- und Glasperlen aus einem fränkischen Friedhof bei Niederbreisig am Rhein, gefunden um 1900 zusammen mit einer Reihe anderer römischer Kunstprodukte in mehreren Gräbern; sie datieren in die Zeit vom 4. bis 7. Jahrhundert n. Chr. Während einige der Perlen lokal hergestellt wurden, entstammt die Gesichtsperle im obersten Halsband (rechts) sicher der römischen Epoche Syriens oder Ägyptens. Die türkisgrünen Melonenperlen waren bei den Franken besonders beliebt und sind von römischen Vorbildern inspiriert. Durchschnittliche Länge der Halsbänder: 75 cm. Metropolitan Museum of Art, New York. Schenkung J. Pierpont Morgan, 1917

Quelle: Alle Perlen dieser Welt

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